Eigentlich, ja eigentlich, wäre jetzt Ruedi an der Reihe gewesen. Leser meiner Geschichten erinnern sich vielleicht noch an ihn. Ruedi hat mich mit seinen Ratschlägen und Geschichten eine zeit lang durch mein Leben begleitet. Und auf einmal war er verschwunden. Lange Zeit blieb er unsichtbar. Aber letztens stand er wieder im Tram und lächelte mir zu. Aus einer gewissen Distanz. Aber er war es. Ich bin ganz sicher. Weil, Ruedi hat eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Vater. Also optisch. Vom Aussehen her. Und mein Vater lebt ja schon lange nicht mehr. Darum fällt er mir auch immer wieder auf.
Spannend ist auch, dass ich ihm in letzter Zeit auf eine gewisse Art immer wieder mal begegne. An ihn erinnert werde. Das hat wohl mit meinem Alter zu tun. Sogar im Beruf passiert mir das. Wie letzthin in Bern. An einer grossen Konferenz unserer Branche. Dabei hatte mein Vater doch so gar nichts mit IT am Hut. Die gab es so seinerzeit auch kaum.
Eine Eigenschaft von ihm ist mir noch besonders im Gedächtnis. Er fluchte nicht. Nie. Nicht das er speziell religiös gewesen wäre. Das nicht. Aber fluchen? Dafür war er sich zu schade. Auch keine Schimpfwörter. Nur eines. Ein Wort, dass er für alles und jeden verwendete, was ihm irgendwie quer kam.
Pfeife.
Es war das Lieblingswort meines Vaters. Auch ich kam ab und an in den Genuss dieser Titulierung. Wenn ich etwas angestellt hatte. Oder schlicht zu doof war, etwas zu begreifen. Dann hiess es schnell mal: “Du Pfeife.” Nahm ihm Einer die Vorfahrt auf der Strasse? “Man ist das eine Pfeife!” War er mit der Politik nicht einverstanden? “Diese Pfeifen!” Mir hat sich dieses Wort so eingeprägt, dass ich es selber ab und zu verwende. Meine Schwester behauptet sogar, ich höre mich dann genau an wie Vater. Weiss jetzt nicht, ob mich das stolz machen, oder eher Angst davor haben soll.
Und jetzt dieser Event in Bern. Ich war etwas früher dran und nahm an einem langen Stehtisch vor dem Eingang noch einen Kaffee. Dabei unterhielt ich mich mit Leuten in meiner Nähe. Meist über IT. Ist ja der Sinn solcher Veranstaltungen. Bis auf einmal dieser ältere Herr mir gegenüber stand. Ich dachte noch, an wen erinnert er mich nur? Bis ich drauf kam. Ruedi. Respektive, er erinnert mich etwas an meinen Vater. Optisch. Darum begann ich mich mit ihm zu unterhalten. Im Verlauf des schon etwas andauernden Gespräches wollte ich natürlich wissen, was er beruflich mache. Da meinte er, er arbeite bei einem kirchlichen Verband. Worauf ich annahm, weil IT Konferenz, er beschäftige sich dort in irgendeiner Art und Weise mit Computer. Und erzählte ihm, was ich so mache. In der Hoffnung, man käme vielleicht ins Geschäft. Worauf er mich lange anblickte. Nachdenklich. Und dann meinte, wir kämen leider wohl kaum ins Geschäft miteinander. Er sei in seinem Verband nämlich für die Orgeln zuständig. Insbesondere auch für Pfeifen.
Ich habe mich nur leicht an meinem Kaffee verschluckt. Wirklich, ich schwör. Jetzt könnte man ja meinen, die Geschichte hier sein nun zu Ende. Aber es kam noch besser. Natürlich wollte ich wissen, was er als quasi “Oberpfeife” sozusagen, denn genau hier an dieser Beschaffungskonferenz zu finden hoffe? Die Antwort war der Hammer. Wie ich mir sicher vorstellen könne, wird so eine Orgel und deren Pfeifen nicht alle Nase lang beschafft. Sondern quasi alle ein paar hundert Jahre. Und genau jetzt hätten sie weider so einen Fall, darum sei er nun heute hier. Er müsse darum auch gut aufpassen, weil er kaum von den “Beschaffungs-Erfahrungen” seiner Vorgänger profitieren könne. Da sei ja keiner mehr da. Dafür könne er es dann auch gleich wieder vergessen, weil, bis zur nächsten Beschaffung vergingen ja wieder ein paar hundert Jahre und dann könne eine andere Pfeife sich darum kümmern.
Sprach’s und zog leise lächelnd von dannen. Glauben Sie an Wiedergeburt?
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