Einen Hund. Ich hätte gerne einen Hund. Wir hätten gerne. Sind mit Hunden aufgewachsen. Immer schon. Nicht einfach nur normale Hunde. Von der Grösse her schon. Farbe und so auch. […]
Einen Hund. Ich hätte gerne einen Hund. Wir hätten gerne. Sind mit Hunden aufgewachsen. Immer schon. Nicht einfach nur normale Hunde. Von der Grösse her schon. Farbe und so auch. Aber Charakter. Immer speziell. Sehr. Und immer Vaters Hund. Wir Kinder durften sie streicheln. Füttern auch. Spielen sowieso. Wenn’s ums Folgen ging? Dann nur Vater. Platz zum Beispiel. Wir konnten es ihnen befehlen. Oder vormachen. Oder versuchen, sie zu zwingen. Nichts. Stoisch wie ein Denkmal. Sogar bei Mutter. Bei der auch Vater Platz machte, wenn sie es befahl. Die Hunde? Stoisch. Vielleicht mal ein Blick von der Seite. Aber eher selten. Nicht mal ein Zucken im Schwanz. Die Hunde. Nicht Vater. Vater sah sie nur an. Sitz. Wenn er sie einen Augenblick länger an sah? Eine Zehntelsekunde vielleicht? Dann sogar Platz. Also liegen. Ohne ein Wort. Sie hatten auch ihre Plätze. Auf der Couch. Oder einer Hundedecke auf dem Boden. Oder in der Küche unterm Tisch. Überall. Wenn Vater da war? Neben ihm. Sitz. Immer. Wir hatte zuhause Parkett. Vater auswärts? Dann konnten wir die Hunde an ihren Schwänzen durch die Wohnung ziehen. Kein Problem. Oder ihnen einen Knoten in die Ohren machen. Alles möglich. Vater in seinem Sessel? Hund daneben. Seine Hand auf ihrem Kopf. Wehe, wir sahen sie dann nur an. Oder versuchten sogar, sie zu streicheln. Lefzen fletschen, tiefes Knurren, gefährlicher Blick. Vom Hund auch. So war das.
Darum hätte ich gerne wieder einen. Der wäre dann auch so. Aber wir haben leider keine Zeit für ein Tier. Und ehrlich gesagt. In der Stadt? Möchte ich einem Hund nicht antun.
Letzte Woche. Tram. Im 4er. Von Altstetten nach Tiefenbrunnen. Am Schiffbau. Wir sassen ganz hinten. Mit einer Horde Jugendlicher. Unterwegs ans Vorglühen. Respektive schon voll dabei. Und wie so junge, testosterongesteuerte Halbwilde halt so sind. Eine riesen Klappe. Alle. Über alles. Die Welt, ihr Leben, ihre beruflichen Aussichten, wie schnell sie Kohle machen würden. Und wie viel Frauen sie heute Abend anbaggern und abschleppen. Riesen Klappe. Bis Dammweg. Das sind drei Haltestellen ab Schiffbau. Das Tram hält. Die hintere Tür öffnet sich. Herein trottet ein schneeweisser Mastino. Mit blutunterlaufenen Augen. Eine Leine hinter sich herziehend. Am anderen Ende der Leine? Niemand. Der Mastino, gross wie ein Kalb, trottet also ins Tram. Bis vor zu den Jugendlichen. Schaut sie an. Und legt sich hin. In den Gang. Mittendrin zwischen den acht Jungen. Links im Abteil vier, rechts im Abteil vier. Dazwischen der Mastino. Aus wars mit Vorglühen. Jetzt. Zufällig kenne ich dessen Besitzer. Weiss, dass dieser mitunter etwas heftig mit sich selber beschäftigt ist. Und dann den Hund schon mal vergisst. Der Hund, dem macht das nichts. Der ist die Friedlichkeit in Person. Der weiss wo er zuhause ist. Und zottelt dann halt alleine los. Das er gefährlich aussieht und als Kampfhund gilt, dass weiss er glaubs gar nicht. Wer sollte ihm es auch sagen. Die acht jungen Welteroberer ganz sicher nicht. Ich? Ich sah zu. Und harrte der Dinge, die da kommen. Weil mittlerweile war man am Limmatplatz. Hier wollte man sich dann eigentlich ins Nachtleben stürzen. Man stürzte lieber nicht. Der Hund hat einen Namen. Bruno. Vermutlich würde ich ihn genauso nennen. Obwohl er eher nach Brutus aussieht. Den Platz zu verlassen und aussteigen? Man hätte Bruno beiseite schieben müssen. Oder ihm einfach sagen “Bruno, geh auf die Seite”! Ich weiss das. Die Helden der Nacht wussten das nicht. Die sassen noch bis Bahnhofquai. Dort kam dann eine Dame der VBZ. Voll Elan. Ins Tram. Mit einer dünnen, kurzen Hundeleine. Elan und Befehlston. Sie solle hier einen herrenlosen Hund…. Elan und Befehl. Bis sie Bruno sah. Fertig Elan. Weiter vorne ein Pärchen. Mit einem Mops. Und einer Packung Hundekekse. Eigentlich für den Mops. Das Pärchen sprach die Dame von der VBZ an. Die, die immer noch Prinzip Salzsäule. Man könnte ja vielleicht mit den Hundekeksen versuchen. Das wollte die Dame aber nicht. Offensichtlich. Zum Glück kam dann Einer, der Bruno auch kennt. Leider. Der griff nach seiner Leine. Das Tram hielt den Atem an. Und führte einen etwas verdattert dreinschauenden, weissen, kalbsgrossen Mastino aus dem Tram.
Apropos Tiere. Letzte Woche in Bremen. An einem Abendessen. Es gab Schweinshaxe. Von einem iberischen Schwein. Welches nur Eicheln frisst. Und Wurzeln. Sagt der Kellner. Da tauchte die Frage auf. Ist so ein Schwein dann vegan? Und darf von einem Vegetarier gegessen werden?
Der Nachtwanderer ist freier Autor, Zürcher Fels in der alltäglichen Brandung, Szenebeobachter, diffundierender zwischen den Welten Bummler und moderner Geschichtenerzähler. Mit einer gewissen Sehnsucht nach Weite strickt er aus alltäglichen Erlebnissen und Beobachtungen kleine Kurzgeschichten. Mit feinem Humor, einer Prise Ironie und etwas Schalk, eröffnet sich deren versteckter Sinn manches mal erst beim wiederholten Lesen. Und nicht selten entdeckt man sich selbst in seinen Geschichten wieder.